Workshop 2025: Biomarker-gestützte Precision Medicine in der Neurodiversität


Biomarker Workshop 2025: ADHS – Autismus – Angst – Hypersensitivität.

Donnerstag, 11.12.2025 Entweder ganzer Tag oder Nachmittag. Konzept.

Hintergrund und Relevanz

Die Diagnostik und Behandlung neurodivergenter Bedingungen steht vor einem Paradigmenwechsel. Während die klinische Praxis weiterhin auf verhaltensbasierten Beobachtungen und subjektiven Bewertungen basiert, eröffnen neurobiologische Biomarker neue Möglichkeiten für präzisere, objektivere und personalisierte Ansätze. Dieser Workshop bringt führende Experten zusammen, um den aktuellen Stand der Biomarker-Forschung zu diskutieren und konkrete Schritte zur klinischen Implementation zu entwickeln.

Die Herausforderungen sind vielfältig: Autismus-Spektrum-Störungen zeigen eine enorme Heterogenität, ADHS weist hohe Komorbiditätsraten auf, und Angststörungen treten bei neurodivergenten Menschen mit deutlich erhöhter Prävalenz auf. Traditionelle „One-Size-Fits-All»-Therapieansätze werden dieser Komplexität nicht gerecht. Die Biomarker-Forschung verspricht hier neue Lösungen durch die Identifikation objektiver, messbarer Indikatoren, die eine individualisierte Diagnostik und Therapieplanung ermöglichen.

Besonders vielversprechend sind multimodale Ansätze, die verschiedene Datenebenen integrieren: von genetischen Markern über neuroimaging-basierte Signaturen bis hin zu elektrophysiologischen, physiologischen und metabolischen Indikatoren. Die Kombination dieser Marker mit fortgeschrittenen Machine-Learning-Algorithmen eröffnet neue Möglichkeiten für Prädiktion, Subtypisierung und personalisierte Interventionsplanung.

Zielsetzung des Workshops

Der Workshop verfolgt mehrere strategische Ziele: Erstens soll der aktuelle Stand der internationalen Biomarker-Forschung in der Neurodiversität umfassend dargestellt werden. Dabei liegt der Fokus auf translational relevanten Erkenntnissen, die das Potenzial für eine zeitnahe klinische Anwendung besitzen.

Zweitens steht die Förderung interdisziplinärer Zusammenarbeit im Zentrum. Neurogenetiker, Neuroimaging-Experten, Elektrophysiologen, Kliniker, Bioinformatiker und Vertreter der Industrie sollen gemeinsam innovative Lösungsansätze entwickeln. Besonders wichtig ist dabei die Einbeziehung der Perspektiven neurodivergenter Menschen selbst, um sicherzustellen, dass die Forschung deren tatsächliche Bedürfnisse adressiert.

Drittens sollen konkrete Roadmaps für die klinische Translation entwickelt werden. Dies umfasst sowohl technische Aspekte der Biomarker-Validierung als auch regulatorische, ethische und praktische Implementierungsherausforderungen.

Schwerpunktthemen

EEG und ereigniskorrelierte Potentiale (ERPs)

Die Elektrophysiologie mittels EEG und ERPs stellt eine der vielversprechendsten und praktikabelsten Biomarker-Technologien für neurodivergente Bedingungen dar. Im Gegensatz zu bildgebenden Verfahren sind EEG-Systeme kostengünstig, nicht-invasiv und bieten eine hervorragende zeitliche Auflösung neuronaler Aktivität.

EEG-Spektralanalyse: Ruhezustands-EEG zeigt bei autistischen Personen charakteristische Veränderungen in verschiedenen Frequenzbändern. Erhöhte Gamma-Aktivität (>30 Hz) wird konsistent bei ASS beobachtet und korreliert mit sensorischer Übersensitivität. Alpha-Rhythmen (8-12 Hz) sind häufig reduziert oder atypisch organisiert, was mit Aufmerksamkeits- und Regulationsproblemen zusammenhängt. Bei ADHS finden sich typischerweise erhöhte Theta-Aktivität (4-8 Hz) und reduzierte Beta-Aktivität (13-30 Hz), was die Grundlage für EEG-basierte Neurofeedback-Therapien bildet.

Ereigniskorrelierte Potentiale (ERPs): ERPs bieten einzigartige Einblicke in spezifische kognitive Prozesse. Die P300-Komponente, die Aufmerksamkeits- und Arbeitsgedächtnisprozesse reflektiert, zeigt bei ADHS charakteristische Verzögerungen und Amplitudenreduktionen. Die N170-Komponente, die mit Gesichtserkennung assoziiert ist, ist bei ASS häufig verändert und korreliert mit sozialen Kommunikationsschwierigkeiten.

Mismatch Negativity (MMN): Diese automatische Antwort auf unerwartete auditorische Stimuli ist bei ASS oft reduziert und könnte als Marker für sensorische Verarbeitungsstörungen dienen. Besonders interessant ist die Korrelation zwischen MMN-Amplitude und der Schwere autistischer Symptome.

Steady-State Responses Vigilanz, Arousal, Zentral-sensorischer Index: Auditorische und visuelle Steady-State Responses zeigen bei neurodivergenten Personen charakteristische Muster. Die 40-Hz Gamma-Synchronisation ist bei ASS häufig verändert und könnte mit Problemen in der sensorischen Integration zusammenhängen.

Die klinische Implementierung von EEG/ERP-Biomarkern ist besonders attraktiv, da die Technologie bereits weit verbreitet ist und standardisierte Protokolle existieren. Portable EEG-Systeme ermöglichen zudem Messungen in naturalistischen Umgebungen, was für die ökologische Validität von Biomarkern wichtig ist.

Neuroimaging-Biomarker

Die Neuroimaging-Forschung hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Funktionelle MRI-Studien identifizieren konsistente Unterschiede in der Gehirnkonnektivität zwischen autistischen und neurotypischen Personen. Besonders das Default Mode Network zeigt charakteristische Alterationen, die als Biomarker dienen könnten.

Strukturelle Bildgebung mittels T1-gewichteter MRI und Diffusion Tensor Imaging (DTI) deckt Unterschiede in der Gehirnanatomie und weißen Substanz auf. Machine-Learning-Algorithmen können diese multimodalen Bildgebungsdaten nutzen, um ASS-Diagnosen mit über 85% Genauigkeit zu stellen.

PET- und SPECT-Bildgebung ermöglichen die Untersuchung von Neurotransmitter-Systemen und Neuroinflammation. Veränderte Serotonin- und GABA-Signaling zeigen sowohl bei ASS als auch bei ADHS charakteristische Muster.

Physiologische und Metabolische Marker

Autonome Nervensystem-Dysfunktionen sind bei neurodivergenten Personen häufig und messbar. Herzfrequenzvariabilität, Hautleitfähigkeit und Pupillometrie bieten nicht-invasive Möglichkeiten zur Bewertung der physiologischen Regulation.

Metabolomische Ansätze identifizieren charakteristische Stoffwechselprofile. Besonders der Tryptophan-Serotonin-Pathway zeigt bei ASS konsistente Alterationen. Auch Marker für oxidativen Stress und mitochondriale Funktion sind vielversprechend.

Das Mikrobiom rückt zunehmend in den Fokus, da die Darm-Hirn-Achse bei neurodivergenten Bedingungen eine wichtige Rolle spielt. Spezifische bakterielle Signaturen korrelieren mit autistischen Verhaltensweisen und könnten therapeutische Ziele darstellen.

Digital Health und Wearable Technology

Die Digitalisierung eröffnet neue Möglichkeiten für kontinuierliches Monitoring und datenbasierte Interventionen. Smartphone-Apps können Verhaltensmuster erfassen, die charakteristisch für verschiedene neurodivergente Bedingungen sind. Sprach- und Bewegungsanalysen zeigen vielversprechende Ergebnisse als digitale Biomarker.

Wearable Devices ermöglichen die kontinuierliche Überwachung physiologischer Parameter im Alltag. Diese Real-World-Daten bieten Einblicke in die täglichen Herausforderungen und Bewältigungsstrategien neurodivergenter Menschen. Moderne Wearables können auch EEG-Daten im Alltag erfassen, was die Brücke zwischen Labor- und Real-World-Befunden schlägt.

Virtual und Augmented Reality-Technologien können standardisierte, kontrollierte Umgebungen für Assessment und Therapie schaffen. VR-basierte sensorische Profile könnten individualisierte Umgebungsanpassungen ermöglichen.

Herausforderungen und Lösungsansätze

Die Translation von Biomarker-Forschung in die klinische Praxis bringt erhebliche Herausforderungen mit sich. Die Heterogenität neurodivergenter Bedingungen erschwert die Identifikation universell gültiger Marker. Stattdessen sind wahrscheinlich subtyp-spezifische Signaturen erforderlich.

Methodische Standardisierung ist essentiell für die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse. Internationale Konsortien arbeiten an harmonisierten Protokollen für Datensammlung und -analyse. Besonders für EEG/ERP-Messungen existieren bereits etablierte Standards (z.B. durch die International Federation of Clinical Neurophysiology), die als Grundlage für Biomarker-Protokolle dienen können.

Die Europäische Medicines Agency (EMA) und die FDA entwickeln spezielle Guidelines für Neurodiversitäts-Biomarker, wobei EEG-basierte Marker aufgrund ihrer etablierten klinischen Anwendung besondere Beachtung finden.

Ethische Überlegungen sind von zentraler Bedeutung. Biomarker-Tests dürfen nicht zu Diskriminierung oder ungewollter Selektion führen. Die neurodivergente Community muss in alle Phasen der Forschung und Implementierung einbezogen werden.

Die Kosten-Nutzen-Relation muss für eine breite Implementierung stimmen. EEG/ERP-Systeme bieten hier einen erheblichen Vorteil, da sie deutlich kostengünstiger als MRI oder PET sind und in vielen klinischen Einrichtungen bereits verfügbar sind.

Ausblick und Zukunftsperspektiven

Die nächsten Jahre werden entscheidend für die Etablierung der Precision Medicine in der Neurodiversität sein. Große internationale Kohortenstudien mit Zehntausenden von Teilnehmern werden die statistische Power für robuste Biomarker-Identifikation liefern. EEG/ERP-Messungen werden dabei eine zentrale Rolle spielen, da sie bei großen Stichproben praktikabel durchführbar sind.

Künstliche Intelligenz wird eine Schlüsselrolle bei der Integration multimodaler Daten spielen. Deep Learning-Algorithmen können komplexe Muster in EEG-Signalen erkennen, die für traditionelle Analysemethoden nicht zugänglich sind. Die Kombination von EEG-Features mit genetischen, bildgebenden und klinischen Daten verspricht besonders robuste Biomarker-Profile.

Die Personalisierung von Therapien basierend auf individuellen Biomarker-Profilen könnte die Behandlungsergebnisse erheblich verbessern. EEG-basierte Neurofeedback-Therapien bei ADHS zeigen bereits heute, wie elektrophysiologische Biomarker therapeutisch genutzt werden können. Pharmakogenomische Tests könnten die Medikamentenauswahl optimieren, während EEG-Monitoring die Behandlungseffekte in Echtzeit verfolgt.

Die Integration von Real-Time-EEG in Wearable-Technologien eröffnet neue Möglichkeiten für kontinuierliches Monitoring und adaptive Interventionen. Solche Systeme könnten bevorstehende sensorische Überlasten vorhersagen und präventive Maßnahmen initiieren.

Letztendlich sollte die Biomarker-Forschung dazu beitragen, das Leben neurodivergenter Menschen zu verbessern – nicht durch Normalisierung, sondern durch besseres Verständnis ihrer individuellen Bedürfnisse und die Entwicklung maßgeschneiderter Unterstützung. EEG/ERP-Biomarker bieten dabei den besonderen Vorteil, dass sie auch für die Betroffenen selbst zugänglich und verständlich sind, was zu einer aktiveren Teilnahme an der eigenen Gesundheitsversorgung führen kann.Wiederholen