Teil 5 der Artikel-Serie zum Biomarker Workshop 2025

Die Behandlung von Menschen mit Autismus und/oder ADHS hat sich in den letzten Jahren grundlegend gewandelt. Weg von der Symptombekämpfung, hin zu einem ganzheitlichen Ansatz, der Neurodiversität als natürliche Variation menschlicher Neurologie versteht.

Das neue Paradigma: Akzeptanz statt Normalisierung

Attwood und Garnett beschreiben einen fundamentalen Wandel in der Therapie:

  • Nicht mehr: Die Kernsymptome von Autismus und ADHS mit psychologischer, logopädischer oder ergotherapeutischer Behandlung «reparieren»
  • Stattdessen: Neurodiversität annehmen (Selbstakzeptanz) für mehr psychisches Wohlbefinden und Lebensqualität

Dies geschieht durch:

  • Erhöhung von Selbstbewusstsein und Selbstakzeptanz
  • Behandlung von begleitenden psychischen Erkrankungen
  • Pflege des physischen Körpers
  • Bereitstellung von Unterstützung und Anpassungen

Medikamentöse Behandlung bei AuDHD: Vorsicht geboten

Die Forschung zeigt, dass die Standard-ADHS-Medikation bei autistischen Menschen anders wirkt:

  • Methylphenidat (Ritalin, Concerta): 73% positive Ansprechrate bei Kindern mit ADHS, aber nur 49% bei autistischen Kindern mit ADHS (King et al., 2020)
  • Guanfacin (Intuniv): 34-50% Ansprechrate bei Autismus plus ADHS (Scahill et al., 2015)

Die Empfehlung: Bei autistischen Menschen mit ADHS ist Vorsicht geboten. Die Medikation sollte sorgfältig angepasst und überwacht werden.

Körperliche Bewegung und Achtsamkeit

Körperliche Bewegung hat einen nachgewiesenen positiven Effekt auf exekutive Funktionen. Eine Studie von Tse et al. (2025) in der Zeitschrift «Autism» zeigt, dass Fahrradfahren (mobil und stationär) zu signifikanten Verbesserungen führt.

Achtsamkeit und Mindfulness verändern nachweislich das Gehirn. Eine Meta-Analyse von 123 Studien (Fox et al., 2015) identifizierte 8 Gehirnregionen, die bei täglicher Achtsamkeitspraxis konsistent verändert sind – alle relevant für ADHS und/oder Autismus.

Empfohlene Ansätze:

  • Mind-Body-Praktiken: Yoga, Meditation, Tai Chi, Taekwondo
  • Acceptance and Commitment Therapy (ACT)
  • Compassion Focussed Therapy (CFT)
  • Dialectical Behaviour Therapy (DBT)
  • Internal Family Systems (IFS)

Diagnose als Wendepunkt

Attwood und Garnett betonen: Die Diagnose ist ein entscheidendes Ereignis für die Identitätsbildung. Sie bevorzugen den Begriff «Entdeckung» statt «Diagnose», weil er den positiven Aspekt betont: Endlich verstehen, warum man anders ist.

Die Forschung von Cooper, Smith und Russell (2017) zeigt: Obwohl autistische Menschen häufiger psychische Probleme berichten, bietet eine positive autistische soziale Identität einen Schutzfaktor.

Was hilft:

  • Positive Autismus-Identitäten fördern
  • Positive Online-Community-Unterstützung, die sich auf Stärken konzentriert
  • Selbsthilfegruppen, die persönlichen Austausch ermöglichen und Stärken betonen

Die Stärken erkennen und nutzen

Häufige ADHS-Stärken:

Visuelles Denken, «Big Picture»-Denken, Kreativität, Energie, Humor, Mut, Spontaneität, Charisma, Hyperfokus, Verbindung zu anderen

Häufige autistische Stärken:

Visuelle und verbale Fähigkeiten, kreatives Denken, Monotropismus, Mitgefühl, Logik, Ehrlichkeit, Sinn für soziale Gerechtigkeit, Mustererkennung, Systemdenken, Langzeitgedächtnis, Detailorientierung, tiefe Verbindungen

Stärken bei AuDHD – die Symbiose:

  • Innovative und kreative Problemlösung
  • Hyperfokussiertes Engagement
  • Beharrlichkeit kombiniert mit Anpassungsfähigkeit
  • Leidenschaft mit Energie
  • Erhöhte Wahrnehmung und sensorisches Bewusstsein

Neurodiversität verstehen und erklären

Attwood und Garnett empfehlen, Autismus und ADHS so zu erklären:

  • Eine andere Art zu fühlen, denken, lernen und sich zu beziehen
  • Basierend auf einer anderen Neurologie
  • Es gibt viele verschiedene Arten, autistisch oder ADHS zu sein
  • Mit Vorteilen und Nachteilen
  • Missverstanden zu werden ist oft ein Nachteil
  • Das eigene Neuroprofil zu kennen hilft

Mehr erfahren beim Biomarker Workshop 2025

Am 11. Dezember 2025 wird Matthias Huber seinen Vortrag «Therapie von innen verstehen: Wie die Selbstbetroffenheit eines Therapeuten die Autismus-Behandlung entscheidend beeinflusst» präsentieren.

Anmeldung: https://gtsg.ch/de/biomarker-workshop-2025-2/

Quelle: Handout «Understanding Autism and ADHD» von Prof. Tony Attwood & Dr. Michelle Garnett, 2025

Dies ist Teil 5 und der Abschluss der Artikel-Serie basierend auf dem Handout von Prof. Tony Attwood und Dr. Michelle Garnett zum Biomarker Workshop 2025.