Teil 2 der Artikel-Serie zum Biomarker Workshop 2025
ADHS bei Mädchen und Frauen bleibt oft jahrelang unerkannt. Anders als Jungen, die häufiger durch hyperaktives und impulsives Verhalten auffallen, zeigen Mädchen subtilere Symptome – und werden deshalb systematisch übersehen.
Frühe Zeichen: Der tägliche Kampf beginnt
Laut Attwood und Garnett wissen viele Mädchen mit ADHS bereits im Alter von fünf Jahren, dass sie «anders» sind. Was folgt, ist ein erschöpfender Alltag:
- Enorme intellektuelle Anstrengung, um Probleme zu verstecken und zu kompensieren
- Ein täglicher Kampf, ein inneres Chaos zu verbergen
- Ständige Angst, die Kontrolle zu verlieren über Emotionen und Energielevel
Warum Mädchen durchs Raster fallen
Die Forschung von Quinn und Madhoo (2014) zeigt ein paradoxes Muster: Mädchen mit ADHS haben weniger sichtbare Symptome, aber die gleichen Beeinträchtigungen wie Jungen.
Das führt zu systematischer Unterdiagnostizierung:
- Sie bleiben in Beziehungen zu Gleichaltrigen zurück und scheitern – ohne jemandem ausser sich selbst Probleme zu machen
- Sie neigen dazu, sich selbst die Schuld zu geben
- Lehrkräfte und Fachpersonen übersehen sie oft
- Sie präsentieren sich häufig mit internalisierenden Störungen (Angst, Depression) und Kompensationsstrategien wie Perfektionismus
Das soziale Dilemma
Mädchen und Frauen mit ADHS kämpfen besonders mit sozialen Beziehungen:
- Schwierigkeiten, das Energielevel zu regulieren
- Probleme, Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzubauen und zu erhalten
- Weniger Freundschaften und mehr volatile Situationen mit Streit und Konflikten
- Der verzweifelte Wunsch, sich anders verhalten zu können
Die Risiken: Mehr als nur Unaufmerksamkeit
Die Konsequenzen einer unerkannten ADHS können gravierend sein:
- Höhere Risikobereitschaft als Gleichaltrige
- Frühere Experimente mit Sexualität und Substanzen
- Zunehmendes Gefühl von Einsamkeit und Leere
- Ein Gefühl von Rastlosigkeit und Leere, das sich ausbreitet, wenn nicht ständig etwas die Aufmerksamkeit fesselt
Maskierung: Der Preis des Versteckens
Frauen und Mädchen mit ADHS investieren enorme Energie in das Maskieren und Camouflieren ihrer Symptome. Sie lernen früh:
- Ihre Impulsivität zu unterdrücken
- Ihre innere Unruhe nach aussen hin zu verbergen
- Strategien zu entwickeln, um «normal» zu erscheinen
Dieser Prozess ist erschöpfend und kann zu sekundären psychischen Problemen führen – von Angststörungen über Depressionen bis hin zu Essstörungen.

Was können wir tun?
Die Erkenntnis, dass ADHS bei Frauen anders aussieht, ist der erste Schritt. Fachpersonen sollten:
- Gezielt nach internalisierenden Symptomen fragen
- Kompensationsstrategien und Perfektionismus als mögliche Warnsignale erkennen
- Die Familiengeschichte berücksichtigen (ADHS hat eine starke genetische Komponente)
- Objektive Biomarker als ergänzendes diagnostisches Instrument in Betracht ziehen
Mehr erfahren beim Biomarker Workshop 2025
Prof. Tony Attwood und Dr. Michelle Garnett werden am 11. Dezember 2025 beim Biomarker Workshop in Zürich ihre Erkenntnisse aus 80 Jahren kombinierter klinischer Praxis teilen.
Anmeldung: https://gtsg.ch/de/biomarker-workshop-2025-2/
Quelle: Handout «Understanding Autism and ADHD» von Prof. Tony Attwood & Dr. Michelle Garnett, 2025
